Das Amtsgericht Hildesheim hat nun einen denkwürdigen Beschluss erlassen der die Unsitte, den rechtssuchenden Bürger wegzuschicken, beseitigen dürfte. Was war geschehen? Das Amtsgericht hatte es sich zur Sitte gemacht, Bürger die einen Berechtigungsschein für Beratungshilfe beantragen wollen, mit der Begründung wegzuschicken, der Rechtsanwalt hätte bereits mit der Beratung begonnen, weshalb dieser nunmehr den Beratungshilfeantrag nachträglich stellen müsse. Dies war für den Anwalt schon immer problematisch, da er im Zweifel in Vorleistung ging und am Ende ggf. kein Bezahlung erhielt, da Anlagen fehlten oder doch keine Bedürftigkeit vorlag. Der Schriftverkehr mit dem Gericht überstieg vom Umfang häufig den Schriftverkehr des Mandats, weshalb diese Vorgehensweise schon immer ein Ärgernis war. Damit ist nun hoffentlich Schluss. Auch für den Bürger ist dies gut, denn er bekommt sofort Rechtssicherheit und weiß, ob er selber zahlen muss, oder staatliche HIlfe erhält. Nachfolgend die Entscheidung.
Amtsgericht Hildesheim
Beschluss
34 URII 523/14
hat das Amtsgericht Hildesheim durch den Direktor des Amtsgerichts Hesse am 05.08.2014
beschlossen:
Auf die Erinnerung vom 31.03.2014 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hildesheim vom 20.03.2014 geändert.
Den Antragstellern wird jeweils Beratungshilfe bewilligt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
Die Erinnerung vom 31.03.2014 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hildesheim vom 20.03.2014 ist im Ergebnis begründet.
Zwar ist der Antrag auf nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe nicht fristgerecht angebracht worden; darauf indes lässt sich eine Zurückweisung des Antrags nicht stützen. Den Antragstellern nämlich kann mangels einer schriftlichen Dokumentation nicht widerlegt werden, dass ein von ihnen – rechtzeitig – mündlich gestellter Antrag in derselben Sache bislang nicht abschließend bearbeitet worden ist und sie unverrichteter Dinge vom Gericht „zurückgeschickt“ worden sind. Der gerichtsinternen Stellungnahme der Rechtsantragstelle lässt sich entnehmen, dass in bestimmten Fällen mündlich gestellte Anträge nicht schriftlich beschieden werden und folglich nicht ausgeschlossen werden kann, dass Antragsteller „zurückgeschickt“ werden. Schon mit Blick auf mögliche Rechtsmittel sind auch mündlich gestellte Anträge stets zu dokumentieren und schriftlich zu bescheiden. Wie im Fall der Erinnerungsführer verfahren wurde, lässt sich nicht mehr klären. Das aber kann den Erinnerungsführern nicht zum Nachteil gereichen.
Der mündliche Antrag jedenfalls führt zur Bewilligung von Beratungshilfe. Der Auffassung, Beratungshilfe könne auf einen Antrag eines Rechtsuchenden nicht mehr bewilligt werden, wenn dieser bereits anwaltliche Hilfe beansprucht hat, folgt das Gericht ausdrücklich nicht. Sie findet spätestens nach der Neufassung des Beratungshilfegesetztes keine gesetzliche Grundlage.
Im Einzelnen:
§ 6 I BerHG sieht vor, dass der Rechtsuchende – sollte die Angelegenheit nicht unmittelbar durch das Amtsgericht erledigt werden können – beim Amtsgericht Beratungshilfe beantragen kann und sodann mit dem durch das Amtsgericht ausgestellten Berechtigungsschein eine Beratungsperson seiner Wahl aufgesucht werden kann.
§ 6 II 1 BerHG regelt dagegen den sog. Direktzugang: Der Rechtsuchende kann sich auch direkt an eine Beratungsperson wenden. In diesem Fall kann der Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe nachträglich innerhalb der Frist des § 6 II 2 BerHG gestellt werden. Der Gesetzgeber hat bei der Novellierung der Norm (entgegen dem ursprünglichen Entwurf, vergl. BTDrs. 17/11472) davon abgesehen, ein Regel/Ausnahmeverhältnis anzuordnen oder den Direktzugang (mithin die nachträgliche Antragstellung) an besondere Voraussetzungen zu knüpfen. Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes steht ersichtlich im Vordergrund. Dem entspricht, dass sowohl der Rechtsuchende als auch die Beratungsperson den nachträglichen Antrag stellen können (vergl. Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 12. Auflage, § 7 BerHG Rz. 8,9). Es kann daher auch nicht in Betracht kommen, den Rechtsuchenden nach Inanspruchnahme einer Beratungsleistung mit seinem Antrag aus diesem Grund abzuweisen (vergl. Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 12. Auflage § 6 BerHG rz. 17 m.w.N.). Jede andere Verfahrensweise würde die offenkundige Zielsetzung des Gesetzes torpedieren (so vollkommen zutreffend Groß a.a.O.). Einem etwaigen Missbrauch wirkt die nunmehr geltende Frist von 4 Wochen entgegen. Diese Sichtweise füge sich auch unproblematisch zur gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, vor der Entscheidung weitere Belege oder Nachweisungen zu erfordern (§ 4 BerHG); es besteht folglich ohne weiteres die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen und noch vor endgültiger Bescheidung (z. B. wegen fehlender Unterlagen) anschließend Beratung in Anspruch zu nehmen. Ob diese angesichts eines fehlenden Beratungshilfescheins gewährt wird, ist eine andere Frage und von der Beratungsperson zu entscheiden. In (verfahrens)rechtlicher Hinsicht steht der anschließenden Bewilligung und Vergütung jedenfalls nichts entgegen.
Ein Rechtsuchender kann daher entweder:
(1)
… mündlich oder schriftlich einen Antrag bei dem Amtsgericht stellen; im Fall mündlicher Antragstellung ist der Antrag in der Rechtsantragstelle zu protokollieren; nimmt der Antragsteller von der Antragstellung Abstand, ist dies zumindest aktenkundig zu machen. Er kann mit erteiltem Beratungshilfeschein die Beratungshilfeperson aufsuchen. Sind vor der Entscheidung des Amtsgerichts weitere Nachweise zu erbringen, ist es mit Blick auf die Bewilligung unschädlich, wenn der Rechtsuchende dennoch sogleich Beratungshilfe in Anspruch nimmt.
Oder der Rechtsuchende kann:
(2)
… Beratungshilfe in Anspruch nehmen und selbst nachträglich binnen der in § 6 II 2 BerHG bestimmten Frist Beratungshilfe beantragen; dies kann auch vor vollständiger Beendigung der Beratung erfolgen (z. B. wenn der Anwalt noch weitere Informationen benötigt und die Beratung unterbrochen wird).
Oder der Rechtsuchende kann:
(3)
… Beratungshilfe in Anspruch nehmen und in seinem Namen die Beratungsperson nachträglich binnen der in § 6 II 2 BerHG bestimmten Frist Beratungshilfe beantragen lassen; dies kann auch vor vollständiger Beendigung der Beratung erfolgen (z. B. wenn der Anwalt noch weitere Informationen benötigt und die Beratung unterbrochen wird).
Die Antragsteller hätten also wirksam auch nach begonnener Beratung mündlich einen Antrag mit Aussicht auf Erfolg stellen können. Soweit eine Protokollierung oder sonstige Dokumentation unterblieb, wirkt sich der Verfahrensfehler nicht nachteilig aus.
Nach alledem war Beratungshilfe zu bewilligen.
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